Über den Mythos des zu engen Beckens

Mit diesem Beitrag möchte ich mich für den scoyo ELTERN! Blog Award bewerben.

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Mein ganz persönliches Reizthema, dass mich immer wieder zur Weißglut treibt! Vor allem wenn ich mit Frauen spreche oder auch twittere 😉 und sie mir berichten, wie verunsichert sie von Ansagen, wie:

„Da wird Ihr Kind niemals durchpassen!“

waren und immer noch sind. Sie zweifeln ihre Gebärfähigkeit an oder lassen, aus Angst und Unsicherheit heraus, gleich einen Kaiserschnitt machen. Nach dem Motto: Hat ja eh keinen Sinn bei mir… Aber warum werden so vielen Frauen „bauliche Mängel“ unterstellt? Sind so viele von uns Frauen wirklich so schlecht gebaut, oder aber hat der „Sachverständige“ etwa keine Ahnung?! Aber dazu später mehr – nun erstmal eine Geschichte, die anmutet, wie aus meiner blühenden Phantasie entsprungen, aber sie ist real und bei weitem kein Einzelfall!

Eine kleine Märchenstunde

Es war einmal eine junge Mutter, die ihr erstes Kind gebären wollte – ein zartes, eher kleines Kindlein mit 3150 g Gewicht und einer Größe von 51 cm. Die böse Stiefmutter hieß in diesem Fall: Zangengeburt mit Powerpressen, Dammschnitt und Kristeller-Griff… Die Vermutung eines Beckenmissverhältnisses stand im Raum. Die Moral von der Geschicht: ohne Zange geht es nicht…

Nun wurde eben diese Mutter abermals schwanger. Das Ultraschallorakel prophezeite ihr Gewichtsschätzungen um etwa 3600 g. Diese unerschütterliche Mutter wollte eine weitere vaginale Geburt „wagen“. Die Ärzte ließen sie gewähren. Sie versicherten ihr aber auch, dass bei ihrer „Vorgeschichte“ und dem wahrscheinlichen Beckenmissverhältnis auf jeden Fall eine geplante Sectio stattfinden würde, wenn auch nur der Hauch eines Verdachtes bestände, dass das ungeborene Kind 4000 g oder mehr wiegen könnte. Solch ein „Riesenbaby“ wäre unmöglich bei ihrer „baulichen Ausstattung“ natürlich zu gebären: „Da wird ihr Kind niemals durchpassen!“ 

Nun kam der Tag der Geburt: für alle unfassbar – an ein Wunder grenzend, gebar diese Frau ein Kind mit 4450 g Geburtsgewicht – ebenfalls bei einer Größe von 51 cm – aus eigener Kraft! Ohne Zange, ohne angeleitetes Powerpressen, ohne Dammschnitt und ohne Kristeller-Griff. Wären wir jetzt im Mittelalter, wäre sie vermutlich als Hexe verbrannt worden… 😉

Wie konnte das passieren? Können Becken wachsen? Wieso gibt es ein angebliches Beckenmissverhältnis bei der einen Geburt, das aber offensichtlich bei der anderen überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein scheint? Fragen über Fragen. Aber wirkliche Antworten um den Mythos des weiblichen Beckens zu lüften, bekommen die allermeisten Frauen nicht. Nur eine, häufig lieblos dahin geworfene, Diagnose. Punkt. Keine Erläuterungen, keine Erklärungen – nur einen angeblichen Fakt: ZU ENG – PASST NICHT. Viele wissen dabei gar nicht, wie das weibliche Becken aufgebaut ist und welche Veränderungen es während Schwangerschaft und Geburt durchläuft – wohl auch die meisten Ärzte nicht … Ansonsten kann ich mir viele ärztliche Aussagen einfach nicht mehr logisch erklären! #traurigeWahrheit

Warum das Becken keine Parklücke ist!

Ich kann mich des Eindrucks einfach nicht erwehren, dass viele Ärzte das weibliche Becken als eine Art Parklücke betrachten – mit vorgegeben Maßen, unveränderlich. Das ungeborene Kind wäre bei diesem bildlichen Vergleich wohl das Auto… Beim Auto weiß ich normalerweise allerdings, wie groß es ist – ich weiss, ob ich in einem Smart sitze, oder aber in einem VW-Bus. Dementsprechend suche ich eine passende Parklücke. Bei den vorgeburtlichen Gewichtsschätzungen per Ultraschall ist das hingegen immer so eine Sache… Abweichungen nach oben und nach unten können durchaus vorkommen und sind gar nicht mal so selten. Im Mittel weicht das geschätzte Gewicht um 350-500 g vom tatsächlichen Geburtsgewicht ab, aber wie das Beispiel oben anschaulich darlegt: manchmal eben auch deutlich mehr!

„Fehlschätzungen von einem Kilogramm und mehr sind keine Seltenheit.“*

*Schmid, Sarah: Alleingeburt – Schwangerschaft und Geburt in Eigenregie; Salzburg, 2014, S. 84.

Zudem hinkt auch der Vergleich von Becken zu Parklücke irgendwie: auch wenn wir uns manchmal wünschten, dass sich die parkenden Autos nur ein paar Zentimeter weiter nach außen schieben könnten, damit unser Auto doch noch in die Parklücke passen würde, so passiert es in der Realität nie. Das ist der entscheidende Unterschied zum Becken. Das hat eben keine festen Maße – sie sind veränderlich – anpassungsfähig! Eben ein genialer Clou der Natur! Ganz nach dem Motto: Was nicht passt, wir passend gemacht! 

Faktencheck zum weiblichen Becken

„Denn das weibliche Becken ist kein starrer Knochenring, sondern besteht vielmehr aus insgesamt sieben unterschiedlichen Segmenten, die durch Sehnen und anderes stabilisierendes Gewebe miteinander verbunden sind. Diese Verbindungsstellen werden durch das Hormon RELAXIN besonders stark kurz vor der Geburt aufgeweicht, so dass das Becken in der TIEFEN HOCKE optimalen Raum für das Baby schaffen kann. Aus Kulturen, wo regelmäßig in der tiefen Hocke gearbeitet und dann auch geboren wird, wissen wir, dass die Diagnose >>Kopf-Becken-Missverhältnis<< im Prinzip unbekannt ist.“*

*Bartig-Prang, Tatje: Autogene Geburt, Mit Hypnobirthing selbstbestimmt gebären, Stuttgart, 2016, S. 37.

Also halten wir mal kurz inne und die Fakten fest: Das Becken hat keine festen Maße, die sich vorher bestimmen lassen! Es kann seine Größe variieren, da es eben NICHT aus einem festen Knochenring besteht, was eine weitverbreitete Fehlannahme ist. Auch Ärzte, die es eigentlich besser wissen müssten, erliegen dem Trugschluss viel zu oft! Hierzu schreibt Ina May Gaskin mehr als treffend 😉 :

„{…}{Gegen das Vermessen des Beckens spricht}, dass sich die Beckenmaße verändern, je nachdem, welche Körperhaltung Sie gerade einnehmen. (Nebenbei gesagt, wissen das die meisten Ärzte nicht.) Eine der größten Schwachstellen {…} ist die Annahme, das Becken einer Frau habe eine konstante Größe und Form. Das wäre nur dann richtig, wenn das Becken ein fester Knochenring wäre.*

*Gaskin, Ina May: Die selbstbestimmte Geburt. Handbuch für werdende Eltern mit Erfahrungsberichten, München 2015, 10. Aufl., S.199/200.

Zudem ist es wirklich erstaunlich, dass die Diagnose „Beckenmissverhältnis“ in bestimmten Kulturkreisen offensichtlich keine so große oder eben gar keine Rolle spielt, ganz im Gegensatz zu hier in  Deutschland… Wir machen es uns aber auch wirklich schwer, weil wir trotz aller gegenteiliger Studien, an der Geburtshaltung: Typ „verunglückter Käfer“ festhalten. Bequem für die Geburtshelfer – erschwerend für das Baby, dem wir damit keine Gefallen tun und damit auch uns als Gebärenden nicht!

RELAXIN – was ist das überhaupt?

Relaxin ist ein körpereigenes Hormon, das während einer normal verlaufenden Geburt in ausreichender Menge ausgeschüttet wird. Umgangssprachlich kann man es auch als „Weichmacher-Hormon“ bezeichnen. Es wirkt besonders auf die Beckenverbindungen und ermöglicht Gewebedehnungen, die weit über das normale Maß hinausgehen.

TIEFE HOCKE – wozu ist sie gut und welchen Einfluß hat sie auf das Becken?

Man muss sich bewusst machen, dass sich in dem Moment, wenn sich das Baby durch das Becken schiebt, das Steißbein und das Kreuzbein der Mutter ein Stück nach hinten schwingt – das gibt dem Kind zusätzlichen Raum, um durch das Becken zu kommen. Liegt die Frau allerdings auf dem Rücken oder befindet sich in einer halbsitzenden Position, lastet ihr Körpergewicht sowohl auf dem Steißbein als auch dem Kreuzbein und verhindert so die Bewegung dieser Knochen nach hinten. Was für die tiefe Hocke gilt, kann man auf alle aufrechten Gebärpositionen, wie knien, stehen oder eben sitzend auf dem Gebärhocker, übertragen!

Das zu schwere Kind und warum es doch hindurch passt!

Eins muss man sich hierbei verdeutlichen: Der kindliche Kopf ist und bleibt der größte Durchmesser, selbst bei einem sehr schweren Kind! Und der Kopf ist auch bei Kindern mit hohem oder sehr hohem Geburtsgewicht nicht nennenswert speckiger, als bei anderen Babys. Diese Kinder sind vornehmlich am Körper oder aber an den Extremitäten fülliger. Und sollte das Bäuchlein tatsächlich mal dicker sein, als der Kopf, dann schwabbelt sich der Speck schon durch das Becken, da er ja nicht so hart wie der Schädel und bis zu einem gewissen Grad knautschbar ist 😉 … Also keine Panik, wenn die doch häufig ungenaue Ultraschallschätzung des zu erwartenden Geburtsgewichtes sehr hoch ausfällt – es ist noch lange keine Kaiserschnittindikation, wie einige Ärzte den Frauen weiss machen wollen! Auch fülligere Babys passen durchaus durch euer Becken!

Die BECKENPRESSE – oder warum die Zange nicht immer sein muss

Die Beckenpresse ist die schonendere Alternative zur Zangengeburt oder aber zur Saugglocke, bei der sowohl das Kind als auch die Mutter nicht ganz unerhebliche Verletzungen davon tragen können. Der Herzensmann kann davon ein Liedchen singen… Die dauerhaft verformte Schädelplatte – Einwölbung am oberen Hinterkopf – wird ihn immer an seine Geburt mit Hilfe von Zange und Saugglocke erinnern 🙁 Und dabei gibt es eine so simple, wie effektive Alternative: die Beckenpresse. Dabei wird die Flexibilität und der Bewegungsspielraum des weiblichen Beckens genutzt. Wenn man aber eben nicht daran glaubt, dann bleiben so wundervolle Methoden vielen Frauen und Kindern verwehrt, was wirklich schade ist. Die Methode funktioniert folgendermaßen:

Man übt Druck auf den oberen Beckenkamm aus, während die Frau presst. Durch den von außen ausgeübten Druck, werden die Hüftknochen oben zusammengeschoben, während sie sich am unteren Ende des Beckens öffnen.

Es wird zusätzlicher Platz geschaffen, so dass auch schwierige Geburtslagen möglich sind, wie z.B. die Stirnlage, die normalerweise einen Kaiserschnitt erfordern würde. Also es lohnt sich über diese einfache Methode näher nachzudenken, die lediglich die hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des weiblichen Beckens ausnutzt!

Ein Hoch auf das weibliche Becken, das so viel mehr kann, als man ihm landläufig zutraut… Also traut eurem Becken – es biegt das/sich schon hin 😉

 

*EURE MOTHER BIRTH*


Quelle:

  • Bartig-Prang, Tatje: Autogene Geburt, Mit Hypnobirthing selbstbestimmt gebären, Stuttgart, 2016, S. 36/37.
  • Gaskin, Ina May: Die selbstbestimmte Geburt. Handbuch für werdende Eltern mit Erfahrungsberichten, München 2015, 10. Aufl., S.199/200, 266/267.
  • Schmid, Sarah: Alleingeburt – Schwangerschaft und Geburt in Eigenregie; Salzburg, 2014, S. 80/81, 84.

5 Gedanken zu „Über den Mythos des zu engen Beckens

  1. motherbirthblog Autor des BeitragsAntworten

    Mich ärgert es immer wieder, wenn ich solche Geschichten, wie von deiner Freundin höre.
    Warum wird von Frauen unsere Gebärfähigkeit an allen Ecken und Enden aberkannt? Alles muss kontrolliert werden, man muss den Kindern auf die Welt helfen… Warum kommen die Ärzte nicht auf die Idee, dass Frauen das auch wunderbar ohne Hilfe können. Wie tausende Jahre zuvor auch schon!
    Zeig deiner Freundin diesen Artikel, ermuntere sie vielleicht sich nach Alternativen umzuschauen. Es gibt sie! Man muss sie nur finden 😉 …
    Ich wünsche ihr von Herzen alles Gute <3

    Liebe Grüße
    Mother Birth

  2. phinabelle Antworten

    Ich habe zwei Kinder, beide kamen per Kaiserschnitt zur Welt. Bei der Großen stand auch der Begriff „Missverhältnis“ im Raum, dennoch wollte ich eine natürliche Geburt versuchen. Um diese Erfahrung bin ich auch froh, aber ein zweites Mal wollte ich sie nicht mehr: den ganzen Sonntag bin ich im Park „spaziert“ – mit Wehen. Bei 7cm Muttermund waren die Wehen plötzlich weg, das Kind lag immer noch über dem Becken und die Herztöne verschlechterten sich. Es ging nichts vor und zurück, ich hatte Angst um mein Baby. Also entschieden wir uns für einen Kaiserschnitt. Nach der OP sagte man mir, dass das Baby nie durch das Becken gepasst hätte. Auch wenn es beim zweiten Mal hätte anders sein können, wollte ich direkt einen Kaiserschnitt. Was, wenn es zu Komplikationen gekommen wäre, mein Kind stecken geblieben wäre oder sonstiges !? Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen. Mütter entscheiden sich nicht leichtfertig für einen Kaiserschnitt, und dennoch werden sie verteufelt wenn sie es tun… Frauen sind aber auch so richtige Mütter und sollten sie wegen eines KS nicht immer rechtfertigen müssen 🙂

    • motherbirthblog Autor des BeitragsAntworten

      Natürlich sind Frauen mit Kaiserschnittgeburten auch richtige Mütter! Warum sollte es auch anders sein? Ich habe selbst einen KS gehabt.
      Darum geht es hier in dem Artikel aber auch gar nicht. Es geht vielmehr um die Kaiserschnitte, die vermeidbar gewesen wären, wenn man einige grundlegende Dinge in der Geburtshilfe beachten würde: wie z.B. das Vermeiden der Rückenlage!
      Oder aber, dass man Frauen zu „Wunschkaiserschnitten“ drängt, weil es sowieso anders nicht kommen kann das Kind. Auf welcher Datenlage bitte? Und genau darum geht es!

      Der Text geht überhaupt nicht gegen die Mütter – egal mit welchem Geburtsmodus sie entbunden haben -, sondern gegen Ärzte, die Aussagen treffen, allein durch Ultraschallbefunde. Der Ultraschall ist einfach kein probates Mittel: weder zur Gewichtsbestimmung in der Spätschwangerschaft noch zur Messung des Beckens bzw. des „Missverhältnisses“ von Kind zu Becken…

      Liebe Grüße
      Mother Birth

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