Ein Brief von mir…

Dieser Text ist zwar aus dem #Archiv, aber immer noch aktuell, weil sich leider so gut wie nichts geändert hat! Er soll – nun überarbeitet – ein Beitrag zur #Blogparade: Each Woman is a Rose – Warum unsere Geburten so wichtig sind #rosrev von Nora Imlau sein. Das es Gewalt in der Geburtshilfe gibt und sie gar nicht so selten ist, ist im gesellschaftlichen Bewusstsein leider noch nicht angekommen und deshalb gibt es auch noch kaum eine Sensibilisierung für diese Problematik. Meist wird es sogar als „Unsinn“ oder Übertreibung abgetan und die betroffenen Frauen werden nicht ernst genommen. Ein Skandal!


*Achtung: Trigger-Warnung*

Gewalt unter der Geburt – viele halten das für „normal“…

Auch ich bin eine dieser Frauen, die Gewalt unter der Geburt erleben musste. Auch ich schwieg lange, da mir selbst nicht bewusst war, dass mir überhaupt Gewalt angetan wurde. Ich dachte, ich hätte das ertragen müssen. Das ist halt so bei Geburten. Niemand sagte mir, dass es nicht SO sein muss – nein besser: sein darf! Dann 2014 erfuhr ich vom Roses-Revolution-Day und mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Da erst wurde mir wirklich bewusst, dass ich massive Gewalt im Kreissaal erlebt habe – physische und psychische – und dass es NICHT normal ist, wie ich behandelt wurde! Tief in mir drin ahnte ich es schon länger, so ein dumpfes Gefühl. Alle bemitleideten mich wegen des Kaiserschnittes, aber mein eigentliches „Problem“ war, was mit mir im Kreissaal gemacht wurde, BEVOR ich in den OP kam. Ich will nicht sagen, dass die Sectio eine „Erlösung“ für mich war, denn auch im OP lief so einiges schief, aber ich war als Mensch schon im Kreissaal gebrochen worden. Mir war alles egal. Ich habe mich gedanklich von meinem Körper getrennt – mich abgespalten von ihm – weil nicht nicht mehr ertragen konnte, was ihm angetan wurde. Ich habe mich so versucht zu schützen, mein Innerstes zu retten – wenigstens meinen Kern. Meine Therapeutin sagte mir:

Dieses Verhalten ist typisch als Selbstschutz bei Gewaltopfern. Du bist eins.

Ich bin Opfer von Gewalt geworden. In meinem Kreissaal. In Deutschland. Alle haben weggeschaut – niemand griff ein. Ein Tabu, über das geschwiegen wird.

Roses-Revolution-Day – eine Rose als Mahnung zur Achtsamkeit

Erst 4,5 Jahre später schaffte ich es einen Brief zu schreiben. Aufzuschreiben was damals passierte. Es ist November 2015. Ich habe mir fest vorgenommen diesmal persönlich am 25.11.2015 – dem Roses-Revolution-Day, diesen Brief zuzustellen. Es war eine Premiere für mich. Ich hatte das Krankenhaus – geschweige denn den Kreissaalbereich – seit der Geburt von NotYet nie wieder betreten. Die Erinnerungen waren zu traumatisch. Ich hatte Angst, fürchterliche Angst. Schon allein der Gedanke daran lies mein Herz schneller schlagen, mir wurde übel, ich bekam Schweißausbrüche und mein Kreislauf versagte mir seinen Dienst. Ich habe gelitten. Durch meine Traumatherapie und das sehr positive Geburtserlebnis mit BusyBee 2014, habe ich den Entschluss gefasst, dass auch ich eine Rose niederlegen wollte. Unbedingt. 2014 hatte ich noch nicht genug Mut dazu. Eine sehr gute Freundin, der ich dafür immer dankbar sein werde, hat für mich die Rosen niedergelegt. Sie schickte mir dann ein Foto mit den Rosen, die am Boden vor der Kreissaaltür lagen. Ein erster Schritt war getan.

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Mein Brief

Flucht – Überwindung – Triumph

2015 bin ich selbst dort hinzufahren. BusyBee war in der Trage bei mir. Ich klammerte mich förmlich an mein Kind. Hielt mich fest an ihr… Mein Plan sah vor, dass ich möglichst ohne Aufsehen zu erregen die Kreissaaltür erreiche, den Brief niederlege und schnell ein Foto mache. Danach nur weg. Einfach weg. Flucht. Ich war schon auf dem Rückweg – stand vor dem Fahrstuhl und wartete. Dann einem Impuls folgend, drehte ich auf dem Absatz um und ging wieder zurück, nahm meinen Brief vom Fußboden auf und drückte den Klingelknopf. Ich wollte meinen so persönlichen Brief auch persönlich überreichen. Einem Menschen dabei ins Geschieht schauen. Ihm sagen, was dieser Brief für mich bedeutet. Ihm meine Geschichte erzählen. Ich wollte nicht nur ein anonymer Brief auf dem Boden vor irgendeiner Kreissaaltür bleiben. Ich wollte für die Adressaten real werden – ein Individuum mit Gefühlen. Meine Hoffnung ist es, dass meine Worte mehr Gewicht bekommen haben, dadurch dass ich mich nicht versteckt habe, dass ich der Geschichte im Brief ein Gesicht gegeben habe – zu einer realen Person geworden bin. Ich bin nun kein Gesicht mehr unter tausenden, sondern das eine, dass sein Schicksal erzählt hat – persönlich, sehr persönlich. Sie werden sich nun genauso gut an mich erinnern, wie ich mich an sie erinnere. Das war mir wichtig. Es gibt mir innerlichen Frieden.

Mein Appell – keine Anklage

Dieser Brief stellt ein Abschluss dar. Vielleicht sogar eine Art Aussöhnung, aber keine Vergebung. Die wird es wohl nie geben. Meinen ursprünglich handschriftlichen Brief habe ich hier für euch abgetippt. (Namen und Orte sind selbstverständlich nicht veröffentlicht)

Nun ist es schon mehr als 4,5 Jahre her, als einer dieser Kreissäale für mich zum Tatort wurde und ich zum Opfer. Der 12.5., der Geburtstag meines 1. Kindes, wurde zum schlimmsten Tag meines Lebens, obwohl er doch der schönste hätte sein sollen. Ich erinnere mich sehr  genau an die Dinge, die mir angetan wurden, aber vermutlich erinnert sich keiner mehr an mich. Das ist auch natürlich so, da hier Hebammen und Ärzte tausende Gesichter zu sehen bekommen. Ich sehe nur immer wieder die „Haupttäterin“ (xxxxxx xxxxxxxx) vor mir. Ich habe mich von ihr gedemütigt und auf sexuelle Weise missbraucht gefühlt. Ausgeliefert. Schutzlos. Wehrlos. Wenn die sehr emphatische Ärztin xxxxxx xxxxx nicht gewesen wäre, die durch ihr Mitgefühl und ihre Wärme mir Zuversicht gegeben hätte, dass Geburten nicht immer so sein müssen, dann hätte meine Tochter 2014 wohl nicht das Licht der Welt erblickt. Übrigens außenklinisch, da mein Vertrauen zu tief erschüttert war, um mich abermals zur Geburt in die Hände von Personen zu begeben, die ich nicht kenne.

Ich bitte Sie nur, sich immer wieder ins Gedächtnis zurufen, dass die Geburt für Mutter und Kind von zentraler Bedeutung ist und ein unvergessliches Erlebnis sein sollte – aber eben nicht im negativen Sinn! Hinterfragen Sie immer wieder Ihr Tun, damit Routine niemals überhand über Ihre Menschlichkeit und Ihr Mitgefühl gewinnen kann! Die Frauen und Kinder werden es Ihnen von Herzen danken. Dies soll weder als Anklage, noch als pauschale Beschuldigung verstanden werden, sondern als Denkanstoß für die Zukunft. Für eine bessere, menschlichere und vertrauensvollere Geburtshilfe in xxxxx!

Ich hoffe, Sie nehmen sich meine Worte zu Herzen. Meine traumatische Geburtsgeschichte wünsche ich keiner Frau! Helfen Sie mit, dass sie sich niemals in Ihrem Hause wiederholt.

Mit freundlichen Grüßen

Mother Birth (natürlich stand dort mein richtiger Name) 😉

Wer sich gerne mit mir in Verbindung setzen möchte: (meine Adresse, e-mail und Telefonnummer angegeben gewesen)


Nachtrag:

Es hat sich bis heute niemand bei mir gemeldet. Niemand hat es für nötig befunden darauf zu reagieren. Ich habe keine Entschuldigung erwartet, aber einen Dialog hätte ich mir schon gewünscht. Die Ignoranz, mit der diesem „Problem“ begegnet wird, finde ich persönlich beschämend. Es tot zu schweigen hilft niemanden, vor allem nicht den Opfern – deshalb #breakthesilence!

*EURE MOTHERBIRTH*

#Geburt #Krankenhaus #Trauma #Gewalt #rosrev #Brief #Achtsamkeit #Respekt #Würde #Achtsamkeit #breakthesilence #eachwomanisarose #Frau #Geburtshilfe #Kreissaal #Opfer #Tabu

16 Gedanken zu „Ein Brief von mir…

  1. Pingback: Immer noch fühlen… – Motherbirthblog

  2. Tamara Antworten

    Ein sehr mutiger Und sooo ein wichtiger. Es beim Namen zu nennen!!!!
    Ich habe die letzten Tage immer wieder daran gedacht heute eine Rose niederzulegen, aber ich habe knapp fünf Jahre danach noch nicht diesen Mut gefunden. Aber ich bin zuversichtlich, dass mir meine zweite wunderschöne Familiengeburt bei uns zu Hause vor einem Monat diesen Mut geben wird…nicht heute…aber irgendwann..

    • motherbirthblog Autor des BeitragsAntworten

      Liebe Tamara,

      auch mir hat die zweite Geburt erst den Mut geschenkt diese Rose selbst niederlegen zu können. Trotzdem war es nicht einfach für mich.
      Ich bin mir sicher, dass auch du irgendwann an dem Punkt kommen wirst, an dem du den Wunsch verspürt Gedanken in die Tat umzusetzen und am Roses Revolution Day die Rose niederlegst.

      Jetzt genieße erst einmal dein Wochenbett und kuschele mit deinem kleinen Wunder <3

      Ganz viele liebe Grüße
      Andrea

  3. Mäusemamma Antworten

    Wie Du sicherlich an anderen Kommentaren von mir gesehen hast, bin ich rein zufällig auf Deinen Blog gestossen und lese sehr gerne bei Dir. Auch diesen Beitrag von Dir finde ich klasse, denn Du hast Mut bewiesen und Dich aufgerafft, um Dich diesem so schrecklichen Erlebnis zu stellen. Und vor allem den Personen, die darin „verwickelt“ waren zu zeigen, dass das Erlebte nicht spurlos an Dir vorüber gegangen ist. Ich hoffe, es war für sie ein Wachruf! Liebe Grüsse! Claudia

    • motherbirthblog Autor des BeitragsAntworten

      Liebe Mäusemama,

      Es freut mich, dass du so viel Gefallen an meinem kleinen Blog gefunden hast, dass du viele meiner Texte lesenswert findest <3
      Ich hoffe, auch dass es ein Wachruf war! Vor allem für alle Frauen, die dort noch gebären werden!

      Liebe Grüße
      Mother Birth

  4. Pingback: Noch (k)ein Geburtsbericht | motherbirthblog

  5. schnuppismama Antworten

    Ich finde das sehr mutig, was Du getan hast!
    Und auch wenn keiner geantwortet hat – vielleicht sitzt da irgendwo die eine Person, der dies nicht mehr aus dem Kopf geht, wo Du etwas bewirkt hast!
    Du hast das richtig gemacht – Du bist nicht stumm geblieben! Schon dadurch hast Du etwas verändert!!!

    • motherbirthblog Autor des BeitragsAntworten

      Danke, danke, danke für deine Worte!!!!! Jetzt stehen tatsächlich Tränchen in meinen Augen…. Du gibst mir gerade die Hoffnung zurück, dass ich was bewirken konnte!
      DANKE!!!!
      Und du hast noch was anderes ganz wichtiges erwähnt, an das ich gar nicht gedacht habe:
      ich habe nicht nur der Geschichte ein Gesicht gegeben, sondern auch eine STIMME! Ich habe nicht mehr alles stumm hingenommen, ich habe für mich gesprochen – selbstbestimmt.
      Nochmals danke!

      Liebe Grüße
      Mother Birth

      • schnuppismama Antworten

        Mach weiter! Damit gibst Du vielen eine Stimme! Ich kenne einige, die auch betroffen sind und habe daher mitbekommen, welches Ausmaß die Folgen haben.
        Ich bewundere Dich dafür, dass Du „laut“ geworden bist und dagegen „aufstehst“!
        CHAPEAU!!!

        • mamanatur Antworten

          Da schließe ich mich an!
          Finde auch Deinen Mut bewundernswert.
          Und jetzt steht auch hier nochmal schwarz auf weiß.

          Das ist wichtig auch für viele andere Mütter, die Ähnliches durchmachen mussten.

      • motherbirthblog Autor des BeitragsAntworten

        Ich hoffe wirklich, dass viele andere Mütter von meiner Geschichte hören werden, dass ich Mut machen kann, selbst aktiv zu werden.
        Ich danke euch nochmals herzlich für eure wundervoll stärkenden Worte, die mir zeigen, dass ich das Richtige getan habe.
        DANKE!!!

  6. kiwimamasblog Antworten

    Wirklich mutig und wirklich bewundernswert, was du gemacht hast!
    Darf man fragen, wie die Klinik reagiert hat?

    • motherbirthblog Autor des BeitragsAntworten

      Einmischen stolz bin ich ja schon *schäm* 😉

      Alle Fragen sind erlaubt 🙂 !!!
      Ich habe dort einer Hebamme den Brief übergeben und ihr persönlich meine Geschichte berichtet. 20 Minuten lang habe ich sie „festgehalten“. Sie hatte keine andere Wahl als mir zu zuhören, da sie mit dem Rücken zur Wand stand – Wort wörtlich.
      Ich glaube, ihr war die Situation unangenehm. Ich habe noch den Wusch geäußert, dass doch mein Brief bitte auch an die liebe Ärztin weitergeleitet werden soll. Kann nur hoffen, dass das passiert ist.

      WAs ich wirklich bedauere, dass das Krankenhaus die einmalige Gelegenheit hat verstreichen lassen, um mit mir persönlich in Kontakt zu treten und mit mir konkret über meinen Brief und meine Geburtserfahrung zu sprechen. Sehr schade.

      Liebe Grüße
      Mother Birth

  7. familienzuschlag Antworten

    Wow. Sehr mutig. Toll! Ich wollte bei Lu von Anfang an ausserklinisch entbinden und bin dann nach überschreiten des ETs doch in der Krankenhausmaschinerie gelandet, die mich einfach nicht mehr gehen lassen wollte, obwohl ich für eine Erstgebärende sehr dagegen gekämpft habe. Obwohl die Geburt nicht traumatisch per se war, hat mich das drumherum – dieses ausgeliefertsein, die nicht vorhandene Kontrolle, das nicht ernst genommen werden – definitiv traumatisiert. Viele Gründe weshalb ich von Beginn an im Geburtshaus entbinden wollte, sind eingetreten.
    Ich finde dich stark. Und ich hoffe, jmd hatte den Anstand dir eine Antwort zu geben
    Liebe Grüße Juli

    • motherbirthblog Autor des BeitragsAntworten

      Danke für deine lieben Worte. Sie tuen gerade so gut. Ich hoffe, dass du selbst auch noch zu einer schönen außenklinischen Geburt kommst – so wie ich. Es verändert vieles….
      Nein, eine Antwort habe ich nicht bekommen. Vielleicht habe ich darauf gehofft, aber wirklich daran geglaubt habe ich nicht. Sie haben ihre Chance vertan, um Missstände in ihrer Routine aufzudecken und abschaffen zu können…. aber selbstkritische Betrachtungen sind in Krankenhäusern und unter Ärzten ja bekanntlich nicht weit verbreitet….
      Ich kann nur hoffen, dass sie sich meine Worte zu Herzen nehmen und nicht noch mehr Frauen unter der Geburt in dieser Klinik traumatisiert werden. Mein Herzenswunsch!

      Liebe Grüße
      Mother Birth

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