Ich stehe mitten in einem ausgedörrtem Flussbett.
Links und rechts von mir erheben sich raue, zerklüftete Uferwände – hart und scharfkantig.
Der Boden unter meinen nackten Füßen ist staubtrocken.
Risse durchziehen die Erde.
Kein Tropfen Wasser – kein Leben.
Nur ich.
Die Sonne scheint erbarmungslos vom Himmel auf mich hinab.
Brennt drückend – erdrückend.
Ihr gleißendes Licht scheint mich verglühen lassen zu wollen.
Stillstand.
Plötzlich bricht der Boden auf,
reißt eine immer tiefer werdende Schlucht in das Flussbett.
Ich falle hinein, lasse mich fallen, wehre mich nicht.
Ich hab nichts zu verlieren, erwarte was kommt.
Ist es der Tod?
Mir ist es egal.
Dieses Fallen beruhigt.
Ich muss nichts mehr tun, muss mich nur noch treiben lassen im Fallen.
Immer tiefer hinab in den unendlichen dunklen Schlund.
Nichts tun.
Nicht müssen.
Passiv sein.
Dunkelheit hüllt mich ein, wie ein schwerer Mantel schlingt sie sich um meinen Körper und drückt mich nach unten.
Schwere – keine Leichtigkeit.
Da sehe ich es.
Hoch oben am Rand der Schlucht.
Da steht sie.
Hält das Sonnenlicht verheißungsvoll mit ihren Händen mir entgegen.
Es ist verlockend.
Verlockender als erwartet.
Ich will es greifen, in meinen Händen halten.
Aber sie entschwindet mit ihm und lässt mich zurück in der Dunkelheit.
Es ist meins!
Ich will es!
Ich muss es haben!
Ich krieche mit letzter Kraft auch oben, ziehe mich über den Rand empor, blicke mich um und sehe sie fortgehen.
Fort von mir.
Ich verfolge sie.
Als ich sie erreiche, muss ich erkennen, dass wir ein und dieselbe Person sind.
Sie ist ich – ich bin sie.
Ich nehme mir selbst das Licht.
Erlösche es in meinem Händen.
Dunkelheit umfängt mich.
Schwarze Wolken ziehen auf, verdunkeln den Himmel über mir – kein Sonnenstrahl vermag ihn zu durchdringen.
Ich habe die Sonne verdunkelt.
Donnergrollen, bedrohlich laut.
Wind kommt auf, zerzaust mein langes Haar, lässt Gänsehaut zurück.
Ich friere.
Ich breite meine Arme aus.
Mir wachsen Flügel – riesige Schwingen, pechschwarz wie die unendliche Nacht.
Ich schwinge mich empor in die Lüfte,
gleite auf den Winden,
lass mich treiben,
schaue mir die Welt von oben an.
So klein und unbedeutend,
so kaputt,
so leer.
Ich sollte fortfliegen an einen besseren Ort,
aber ich kann nicht.
Ich bin gefesselt im Hier, lasse mich langsam gleitend sinken auf die trockene, dörre Ebene des Flussbettes hinab.
Ich bin wieder dort, wo ich herkam.
Stillstand.
Der Wind verändert sich.
Wird wärmer.
Heißer.
Unerträglich heiß.
Ich beginne auszutrocknen, wie zuvor der Fluss.
Werde bald nicht mehr sein, ähnlich wie er.
Eine letzte unerbittliche Sturmböe – gleich dem Höllenfeuer – und die zerfalle zu Staub.
Zu einzelnen Sandkörnern, werde in alle Himmelsrichtungen zerstreut, bin nicht mehr eins.
Bin nicht mehr ich.
Nur noch ein diffuser Wirbel aus Sand, Staub und Luft.
Ich will es zusammenhalten – mich zusammenhalten.
Greife verzweifelt in alle Richtungen, um mich festzuhalten, aber ich entgleite mir…
Der Wind lässt nach.
Lässt den Sand und den Staub niedersinken, befreit ihn aus dem eisernen Griff.
Atem holen.
Ruhe.
Durchatmen.
Still.
Ich stelle mich auf: eine Figur aus Sand und Staub.
Mache mich hart und unnahbar.
Schütze mich vor dem nächsten Sturm, der kommen möge.
Mir fehlt das Wasser um lebendig sein zu können.
Bin tot und ausgedörrt wie das vor mir liegende Flussbett.
Es erinnert an den Fluss, der hier einmal war.
Ich erinnere an den Menschen, der ich einmal war.
Mehr als ich erwarten kann: ich bin nicht gänzlich verschwunden.
Ich habe es geschafft.
Ich halte mich – ganz fest umschlungen.
Mit beiden Armen.
Halte mich fest, halte an mir fest.
Ich bin wie das Flussbett: ein Zeitzeuge des Werdens, des Seins und der Vergänglichkeit.
*EURE MOTHER BIRTH*
Lest gerne dazu auch noch den Text: Gedichte: Herzschlag meiner Gefühlswelt – am Puls meiner Seele
*********
Dieser Text gehört zu einem geschlossenen Zyklus aus insgesamt 4 Gedichten, die aufeinanderfolgend zu verstehen und unter verschiedenen Fragestellungen entstanden sind:
- OSTEN ⋅ Feuer ⋅ Frühling – Sonnenaufgang – Intuition – Geburt – Spirituelles Selbst: Ich bin das Leben… – Gedanken zur Geburt und zum Gebären
- SÜDEN ⋅ Wasser ⋅ Sommer – Mittag – Gefühle – Kindheit – Emotionales Selbst: Ich bin eine Kämpferin – Grundzüge meines Seins
- WESTEN ⋅ Erde ⋅ Herbst – Sonnenuntergang – Sinnesempfindung – Erwachsenenalter – Physisches Selbst: Lebenszeit – zeitlebens
- NORDEN ⋅ Luft ⋅ Winter – Mitternacht – Intellekt – Tod – Geistiges Selbst: Innerer Frieden – angekommen im Selbst
Pingback: Innerer Frieden – angekommen im Selbst | motherbirthblog
Pingback: Lebenszeit – zeitlebens | motherbirthblog
Pingback: Ich bin das Leben… – Gedanken zur Geburt und zum Gebären | motherbirthblog
Ich weine – weil ich es so gut verstehe.
Mehr Worte finde ich nicht!
Liebe Scirleah,
diese Zeit ist zum Glück Vergangenheit, auch wenn sie seh lange Zeit meines Lebens die Gegenwart war. Viel zu lange Zeit. Ich war so hilfslos und noch so jung… Meine stummen Schreie verhallten an dem Starrsinn meiner Umwelt.
Liebe Grüße
Mother Birth
Pingback: Gedichte: Herzschlag meiner Gefühlswelt – am Puls meiner Seele | motherbirthblog