Geburten verändern uns – nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Nicht für alle sichtbar, aber dennoch mindestens genau so prägend.
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Wenn mir jemand nach meiner ersten Geburt gesagt hätte, dass Geburten transformierende Erfahrungen sind, dann hätte ich vermutlich lauthals angefangen zu lachen. Irgendwie hysterisch. Ablenkend. Überspielend.
Wenn ich dann allein gewesen wäre, wären die wahren Emotionen herausgebrochen. Hätten sich Bahn gebrochen. Der Strom der Tränen wäre lange nicht versiegt…
Transformation.
Wohin? Zu was? Zu einem Häufchen Elend! Ich erkannte mich ja selbst nicht wirklich wieder. Wer war ich? Was war von mir noch übrig geblieben?
Unsicherheit.
Selbsthass.
Wut.
Verzweiflung.
Schmerz.
Trauer.
Scherben. Ich war ein Scherbenhaufen. Fein säuberlich zusammengekehrt, damit niemand darüber stolpert, aber dennoch gebrochen. Zerbrochen.
Die Transformation kann mich mal – dachte ich…
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Ich war nie sonderlich selbstbewusst oder entscheidungsfreudig gewesen. Habe oft gezweifelt und Bestätigung gesucht. Ich war nie mutig. Nie wirklich stark. Aber während der ersten Geburt war ich so in meinen Grundfesten erschüttert worden, dass ich ständig Halt brauchte. Ihn verzweifelt suchte.
Nichts – keine einzige Alltagsentscheidung – fiel mir mehr leicht. Egal wie winzig – wie lächerlich – sie auch sein mochte. Alles schien tonnenschwer auf meinen Schultern zu lasten. Jede Entscheidung wog ich tausend mal in meinem Kopf ab. Bloß keine Fehler machen. Keinen Fallstrick übersehen.
Unsicherheit.
Eine kleine perfekte Welt schaffen, in der ich Halt finden könnte. Ein Puppenhaus aus einem Spielzeugkatalog. Heile Welt. Alles perfekt. Nicht in Ansätzen umsetzbar. Zum Scheitern verurteilt. Das war mir schon irgendwie bewusst, trotzdem: ich kontrollierte alles. Alles und jeden. Traute niemanden. Am wenigsten mir selbst… etwas zu. Also weiter kontrollieren und überwachen. Die Kontrolle behalten. Vermeintlich. In Wahrheit an den Rand des Nervenzusammenbruchs geraten, weil man nur scheitern kann und einem dieser Umstand nur allzu bewusst ist. Trotzdem leugnen und weitermachen. Halt suchend hilflos durch den Alltag driften…
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Nichts genügt. Nichts scheint gut genug. Ich selbst am wenigsten. Ich fühle mich unzulänglich. Als Mutter. Als Frau. Als Mensch.
Ich frage mich öfters, wie ich so geworden bin. Wie ich so werden konnte. So ängstlich. So unsicher. So übervorsichtig. Kein Selbstvertrauen. Kein Vertrauen in mich. Kein Vertrauen in meine Entscheidungen.
Ich will Orientierung. Ich brauche sie, wie ein Ertrinkender einen Rettungsring. Mir wirft nur niemand einen zu. Ich ertrinke in einem Strudel aus Hilflosigkeit. Ich bin überfordert mit einfachsten Dingen. Mit dem Alltag. Mit alltäglichen Entscheidungen. Mit Kleinigkeiten.
Ich komme mit der Welt, mit meinem Leben nicht mehr klar. Ich komme mit mir als Mensch nicht mehr klar.
Wo bin ich hin? Gibt es mich noch? Oder habe ich schon begonnen mich aufzulösen? Werde ich mich je wiederfinden und was ist dann noch von mir übrig?
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Ich habe Angst. Angst bestimmt mein Denken. Die Angst lähmt mich. Ich fühle mich ihr ausgeliefert. Ich versuche verzweifelt die Kontrolle wiederzuerlangen. Wieder die Kontrolle über mein eigenes Leben an mich zubeißen. Sie nicht wieder zu verlieren. Mein Kontrollwahn, in den ich verfallen bin, hat mir allerdings dabei herzlich wenig geholfen. Damit kann man nur scheitern. Verzweifeln. Durchdrehen. Und letztlich ausgebrannt zurückbleiben.
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Die zweite Geburt war fantastisch. Eine Traumgeburt. Einfach perfekt.
Ich war stolz. Ich hatte es geschafft. Ich habe mich überwunden. Ich habe mich getraut. Etwas gewagt. Und wurde belohnt.
Erleichterung.
Es fühlte ich manchmal für mich so an, als wenn ich einem schrecklichen Unfall gerade noch mal so eben entkommen wäre. Glück gehabt…
Genugtuung.
Ich bin doch noch nicht ganz kaputt. Trotzdem fühle ich mich irgendwie noch nicht wirklich frei. Irgendwie scheint etwas zu fehlen… Aber was? Es war doch perfekt?! Ich kann es nicht greifen. Weder mit Worten umschreiben, noch mit dem Verstand begreifen. Ich kann es nur fühlen. Ich spüre, dass etwas fehlt. Mir fehlt.
Ich habe mich geschützt. Eine geschützte Umgebung ausgesucht. Menschen mein Vertrauen geschenkt, die sich bewehren mussten und es letztendlich verdient hatten – meine Hebammen. Der Beigeschmack des Versteckens blieb irgendwo ganz tief in meinem Unterbewusstsein trotzdem hängen. Eine bittere Note, die sich nicht so leicht vertreiben ließ.
Gedanken an „Was wäre bei einer Verlegung gewesen…“ verdrängen, weil die Antwort darauf keine schöne wäre: Angst. Da ist immer noch diese Angst in mir. Sie hat sich in mir eingenistet. Breit gemacht. Ich weiß jetzt zwar, was es für Mittel und Wege gibt, dass ich mich meiner Angst nicht stellen muss – mich ihr entziehen kann – aber ich fühle mich feige. Schwach. Immer noch. Leider… Kein gutes Gefühl.
Wann hört diese Angst, die sich wie Gift bis in den letzten Winkel meines Körpers und meines Bewusstseins eingenistet hat endlich auf? Wann? Wann fängt mein Leben wieder an? Was muss noch passieren, dass sie endlich aufhört? Dass der Bann gebrochen wird? Dass ich wieder frei bin?
Ich will ein Leben ohne diese diffuse Angst führen und habe gleichzeitig Angst, dass es keinen Weg mehr für mich zu so einem Leben zurück geben kann.
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Die Geburt vom Schildnöck hat mich befreit. Befreit von dieser lähmenden Angst. Ich habe mich meiner schlimmsten Angst stellen müssen: Der Angst wieder eine Geburt in einem Krankenhaus zu bewältigen.
Ich habe mir bewiesen: Ich kann es! Ich bin mutig. Ich muss mich nicht verstecken.
Ich kann loslassen. Planänderungen sind keine Katastrophen. Sie müssen es nicht sein, wenn ich sie nicht dazu mache. Sie nicht dazu werden lasse.
Kontrolle ist nicht der Schlüssel, sondern Flexibilität. Keine starren Vorgaben. Vielmehr eine lebendige Dynamik.
Freiheit.
Leichtigkeit.
Unbeschwertheit.
Eine Fülle an Möglichkeiten hat mir früher Angst gemacht. Heute nicht mehr. Sie reizt mich eher. Alles scheint möglich. Das Leben ist viel zu kostbar, um nicht alle sich bietenden Möglichkeiten mit offenen Armen zu empfangen, sie zu nutzen und aus ihnen zu lernen – für sich und über sich selbst.
Ich habe viel gelernt. Dafür bin ich dankbar.
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Meine Geburtserfahrungen haben mich verändert – auf ganz unterschiedliche Weise. Ich bin heute ein anderer Mensch.
Geburten verändern.
Transformieren.
Veränderungen sind gut. Sie geben einem die Chance sich weiterzuentwickeln.
*EURE MOTHER BIRTH*
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