Wo bitte geht es hier zur selbstbestimmten Geburt?!

Meine Wunschantwort:

Alle Wege führen dort hin.

Immer.

Da Selbstbestimmung das höchste Gut in einer aufgeklärten und gleichberechtigten Gesellschaft ist, dass wir zu achten haben.

Leider das nur mein Wunschdenken – eine Utopie – und keine Realität.


Manchmal beschleicht mich das ungute Gefühl, dass wir in Deutschland eine Geburtshilfe haben und dulden, die gebärendenfeindlich ist… Was doch irgendwie absurd ist. Oder etwa nicht?!

Es werden Gebärdende mitunter systematisch bevormundet und unterdrückt. Eigene Meinungen scheinen unerwünscht. Stattdessen ein kritikloses Abnicken ohne zu hinterfragen. Das erschreckt mich immer wieder zu tiefst. Auch das gesellschaftliche Leugnen dieses Faktes. Wer es wagt, den Finger in die Wunde zu legen – es offen oder sogar öffentlich anspricht -, hat mit Gegenwind zu rechnen. Ich habe ihn schon viel zu oft spüren müssen. Man wird angefeindet. Aber warum? Warum ist das so? Sollte es nicht im Interesse jedes Einzelnen liegen, dass wir eine selbstbestimmte Gesellschaft werden, sind und bleiben? Da würden viele sogar mit JA antworten… Klar. Selbstverständlich. Aber warum endet diese Selbstverständlichkeit mit dem Eintritt einer Schwangerschaft? Die Toleranz gegenüber der Selbstbestimmtheit verschwindet. Verpufft. Löst sich in Luft auf. Ist einfach weg.

Aber wir sind mehr als eine Gebärhülle oder ein Brutschrank, der ein Kind in sich trägt. Wir sind Menschen. Wir haben Interessen. Ein Interesse an unserer eigenen Unversehrtheit – auch und gerade der emotionalen. Wir haben ein Anrecht auf Aufklärung. Auf sachliche, wertfreie Aufklärung. Wir wollen wissen wofür und wogegen wir uns eigentlich entscheiden – wollen und können. Ohne Information entzieht man uns diese Möglichkeit. Aber sie ist ein Grundrecht. Unser aller Grundrecht. Das Grundrecht ein mündiges Leben zu führen. Selbstbestimmung ist der Schlüssel dazu.

Und eine Frage, die mich noch mehr umtreibt, als das übergriffige Verhalten von Geburtshelfer*innen und Ärzt*innen, ist die, wieso wir, die zuvor ein selbstbestimmtes Leben geführt haben – unsere eigenen Entscheidungen getroffen haben, uns ohne lauten Aufschrei so von anderen bestimmen – sogar bevormunden – lassen. Warum sagen wir so selten klar NEIN! ? Warum unterwerfen wir uns ohne wirkliche Gegenwehr den Entscheidungen anderer? Warum fragen wir so wenig nach? Warum fordern wir keine bessere Aufklärung ein? Warum erdulden wir, anstatt laut zu werden und unsere Selbstbestimmung zu verteidigen?

Viele Missstände in der Geburtshilfe haben ihren Ursprung in patriarchischen Handlungsstrukturen und Denkmustern – vom Menschenbild bis zum Wirtschaftlichkeitsgedanken in der Medizin. Beispiel gefällig? Gerne doch.

Wiederholt wurde ich in Gesprächen übergangen, wenn ich nicht kooperieren wollte. Stattdessen wurde einfach mal mit meinem Mann weitergeredet. Über meinen Kopf hinweg. So als wäre ich gar nicht anwesend. Zu dumm um die Tragweite meiner eigenen Entscheidungen zu begreifen. Durch meine Hormone emotional zu verblendet, um rational vernünftige Entscheidungen treffen zu können. Ich wurde behandelt wie ein unmündiges Kind, dass jetzt bockig ist und zur Räson gebracht werden muss. Meinem Mann wurde sehr deutlich ans Herz gelegt, dass er mich – seine Frau – nun endlich mal zur Vernunft bringen soll…

Tja… Echt jetzt? Wo leben wir eigentlich? In den 50ern? Manchmal wohl immer noch…

by Pixabay

Was verhindert Selbstbestimmung?

Das ist DIE zentrale Frage, die beantwortet werden muss, um eine nachhaltige, positive Veränderung in der Geburtshilfe zu ermöglichen.

ANGST und MACHTGEFÄLLE

statt

VERTRAUEN und INFORMATIONEN

Auf die wesentlichen Punkte herunter gebrochen, verhindern – bewusst oder unbewusst – geschürte Ängste und vor allem das vorherrschende Machtgefälle zwischen Arzt*in und Patient*in weitestgehend die Möglichkeit auf Selbstbestimmung von Schwangeren und Gebärenden.

Es braucht eine Geburtshilfe auf AUGENHÖHE!

Viel zu oft wird ÜBER di*en Schwangere*n bzw. Gebärende*n geredet – inhaltlich wie räumlich, in deren Anwesenheit. Dies schafft ein nicht förderliches Machtgefälle zu Ungunsten der Schwangeren und Gebärenden. Ein Beispiel dafür ist der gynäkologische Untersuchungsstuhl oder aber das in vielen Krankenhäusern standardmäßig verwendete Gebärbett. Beide können eine herablassende Art der Gesprächsführung fördern, schon allein durch die Tatsache, dass die Geburtshelfer*innen über einem stehen. Von oben herab sprechen, während man selbst entblößt und schutzlos auf dem Rücken liegt. Oftmals fehlt auch die direkte Ansprache der/des Gebärenden, sondern die Anwesenden Geburtshelfer*innen sprechen über die Person, ohne sie selbst in das Gespräch miteinzubeziehen. Es wird ein Gespräch über den Kopf hinweg geführt.

Die Folge: erzwungene Unmündigkeit und damit das Gegenteil von Selbstbestimmtheit!

AUFKLÄRUNG!

Aufklärung ist die Grundvoraussetzung für Selbstbestimmung. Informationen müssen wertfrei und ohne Druck oder Angst formuliert werden. Aber oftmals werden di*er Schwangere bzw. Gebärende in Unwissenheit gelassen. Ein Machtgefälle entsteht: di*er allwissende Geburtshelfer*in gegen di*en ahnungslose Gebärende*n.

Ein weiterer Punkt, der mir immer wieder negativ auffällt, ist, dass Informationen manipulativ und/oder suggestiv verpackt vorgetragen werden. Nicht neutral. Und schon gar nicht objektiv.

Noch eine kurze Anekdote aus dem reichen Erfahrungsschatz meiner eigenen Erfahrungen? Immer wieder gerne 🙂

„Es gibt ja immer mal wieder so ein paar esoterische Frauen, die alles ablehnen, aber dazu wollen Sie ja schließlich nicht zählen.

Wir machen alles. OK?!*

*Frauenärztin zur Aufklärung über Pränataldiagnostik inkl. das Recht auf Nicht-Wissen …

Angst…

Fehlende Informationen und ein provoziertes, aufrechterhaltenes Machtgefälle schürt schneller Ängste. Angst macht leichter fügsam und folgsam. Man widerspricht seltener – aus Angst. So kommt es auch, dass viele, auch dann nicht schaffen oder wagen NEIN! zu sagen, wenn es zu physischer oder psychischer Gewalt kommt. Sie erdulden. Glauben sogar häufig, dass sie gar nicht das Recht hätten, sich zu beschweren.

Ein Machtgefälle ist der Nährboden für Gewalt!

Und Gewalt ist leider kein bedauerlicher Einzelfall in deutschen Kreißsälen. Man muss sich nur mal am 25. November – dem Roses Revolution Day, dem Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe – die erschreckend hohe Anzahl der niedergelegten Rosen ansehen. Die stillen Tränen, die vergossen werden. Die Geschichten, die Schicksale, die dahinter stehen. Unzählige traumatisierte Menschen – Familien… Ich kann kaum glauben, dass diese Art von Gewalt an Menschen in Deutschland einerseits kaum Beachtung findet und andererseits strafrechtlich nicht geahndet wird. Es gibt Opfer. Aber Tat und Täter*innen werden gesellschaftlich unisono negiert und damit totgeschwiegen. Eine weitere Demütigung der vielen Opfer.

Eines der prägnantesten Beispiele für fehlende Augenhöhe, ein ausgenutztes Machtgefälle sowie die daraus resultierende, erlebte Gewalt:

„Si*er hat mir zwischen die Beine gepackt.“

Vaginale Untersuchungen werden oft ohne vorige Ansprache und Absprache durchgeführt. Sie demonstrieren damit das Machtgefälle, die Dominanz und die nicht vorhandene Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Solch ein Verhalten ist einfach nur grenzüberschreitend!

Und wir müssen uns in diesem Zusammenhang die Frage erlauben: Empfinden wir dieses Verhalten in einem anderen Kontext als ok? Ist es ok, wenn ungefragt zwischen die Beine gegriffen wird von einer Person, die man zuvor vielleicht noch nie sah?

Freundlich formuliert, wäre das dann wohl ein Eingriff in die Intimsphäre. Aber um es deutlich zu sagen: Es ist ein sexueller Übergriff. Nichts anderes. Punkt. Darüber sollte man sich klar sein und werden. Unter der Prämisse sollte das Verhalten gegenüber von Gebärdenden gesehen und bewertet werden. Und es muss sich unsere Gesellschaft die Frage gefallen lassen, warum wir es zulassen, dass Menschen so menschenunwürdig behandelt werden. Es kann einfach nicht angehen, dass mit zweierlei Maß gemessen wird, nur weil eine Person ein Kind erwartet.

Übergriffigkeit, Bevormundung sowie verbale und körperliche Erniedrigung haben in keiner guten und menschenwürdigen Geburtshilfe etwas zu suchen.

Ich kann und will nicht müde werden diese Missstände anzuprangern. Ansonsten wird sich nie etwas verändern. Ich glaube daran, dass sich etwas ändern kann, wenn wir #lautwerden. Gemeinsam. Ich will meinen Beitrag zu dieser Veränderung leisten. Unbedingt. Deshalb habe ich auch diesen Beitrag endlich verfasst. Ich war viel zu lange still. Das tut mir leid.


Wo bitte geht es hier zur selbstbestimmten Geburt?!

Fehlende Augenhöhe, mangelnde Aufklärung und Angst als Mittel zum Erhalt von einem künstlich hochgehaltenen Machtgefälle zu Ungunsten der Gebärenden, sind der perfekte Nährboden für Gewalt. Gewalt in der Geburtshilfe. Kein Einzelfall, aber immer noch ein gesellschaftliches Tabu, über das geschwiegen wird.

Wertfreie ohne Druck und Angst formulierte Informationen, sowie eine tiefe Vertrauensbasis – z.B. zu der eigenen Hebamme – ist die Grundvoraussetzung für Selbstbestimmung. Und diese wiederum für zu weniger Abhängigkeit und Gewalt.

Es wäre eigentlich so einfach aus diesem Spirale auszubrechen. Der Gewalt den Nährboden zu entziehen und Selbstbestimmung Raum zu geben, für eine bessere, menschlichere Geburtshilfe.

Selbstbestimmte Geburt sollte Menschenrecht sein!

Ina May Gaskin

In diesem Sinne: kämpft für dieses Recht und werdet laut! Erhebt eure Stimme für die Selbstbestimmung. Für euer Recht auf Informationen.

*EURE MOTHER BIRTH*



4 Gedanken zu „Wo bitte geht es hier zur selbstbestimmten Geburt?!

  1. Timo Antworten

    Für meine Frau und mich war die Geburt unsers ersten Kindes traumatisch.
    Vielen Dank, dass du die Kraft und den Mut aufbringst hier für Veränderung einzustehen!

    • Motherbirth Autor des BeitragsAntworten

      Hallo Timo,

      mir ist es ein Herzensanliegen, dass alle Menschen ein Recht auf eine gute, wertschätzende und emphatische Geburtshilfe haben.
      Dafür kämpfe ich schon ein paar Jahre. Ich selbst hatte ebenfalls eine traumatische Geburtserfahrung und weiß deshalb, wie belastend – auch über Jahre hinweg – dieses Erlebnis in einer Familie negativ nachwirken kann.

      Ich wünsche dir und deiner Familie von Herzen alles Gute <3

      Liebe Grüße
      Mother Birth

  2. cao Antworten

    Liebe Mother Birth,
    Es ist schön wieder mehr von dir zu lesen.
    Ich selber habe zum Glück keine traumatische Geburt erlebt, aber das was du schreibst, erkenne ich in einigen Geburtsgeschichten meiner Freundinnen und Bekannten wieder.
    Da wurde viel Angst und Panik verbreitet: zB Einleitung 2 Tage nach ET da das Kind ja sonst viieeel zu groß wäre und niemals durchs Becken passen würde, ReSectio weil sonst die Narbe bestimmt reißen würde, Sectio wegen „Sternengucker“, Kristellergriff da die Herztöne des Kindes etwas schlechter wurden und man es jetzt sofort raus haben wollte… Und das sind nur die weniger intimen Details. Aber ich habe leider auch das Gefühl, sie sind Alltag.
    Ich denke es ist schwer, sich als Frau oder Gebärende durchzusetzen, vor allem wenn man auf so viele Widerstände stößt.
    Daher finde ich es umso toller, dass Leute wie du sich für eine positive Geburtskultur einsetzen!!

    Alles Liebe cao

    • Motherbirth Autor des BeitragsAntworten

      Liebe Cao,

      ja, ich war etwas in der Versenkung verschwunden und musste mich erst selbst wiederfinden…
      Schreiben ist ja auch irgendwie ein kreativer Prozess, den man nicht erzwingen kann. Also ich zumindest nicht 😉

      Was als zwingend notweniger „Standard“ kommuniziert wird, sind oftmals nur wählbare Optionen, die Gebärenden angeboten werden könnten. Und das auch mit ihren Vor- und Nachteilen. Stattdessen werden Entscheidungen getroffen, von denen sich die Gebärenden überrumpelt fühlen, weil sie nicht muteinbezogen werden. Dieses Sichübergehenfühlen lässt die Betroffenen meist auch nach Jahren nicht los. Es bleibt eine Trauer zurück und das Gefühl versagt zu haben.
      Das bricht mir jedes Mal das Herz, wenn ich mir wieder einmal solch eine Geschichte anhöre.

      Ganz liebe Grüße
      Andrea

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